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Holztafel eines Vorarbeiters mit handschriftlichen Einträgen. Lager entlang der Polarkreiseisenbahn Salechard-Igarka, 1940er Jahre.

In vielen Lagern herrschte akuter Papiermangel; bei extremen Klimabedingungen erwiesen sich die Holzbrettchen zudem als witterungsbeständig. Hervorgehobener Name auf der Tafel: Ida Swetowa (1901–1960), 1938 Verurteilung als Ehefrau eines „Vaterlandsverräters“ zu fünf Jahren Zwangsarbeit, Lagerhaft in Akmolinsk (Region Karaganda) und Solikamsk (Ural).

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Holztafel eines Vorarbeiters mit handschriftlichen Einträgen. Lager entlang der Polarkreiseisenbahn Salechard-Igarka, 1940er Jahre.

In vielen Lagern herrschte akuter Papiermangel; bei extremen Klimabedingungen erwiesen sich die Holzbrettchen zudem als witterungsbeständig. Hervorgehobener Name auf der Tafel: Ida Swetowa (1901–1960), 1938 Verurteilung als Ehefrau eines „Vaterlandsverräters“ zu fünf Jahren Zwangsarbeit, Lagerhaft in Akmolinsk (Region Karaganda) und Solikamsk (Ural).

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Planvorgaben und Norm

Bürokratisch aufgestellte, wirklichkeitsferne Planziele bestimmten die Zwangsarbeit im Gulag. Die in den Gulag gesetzten wirtschaftlichen Erwartungen erfüllten sich nie – oder nur auf dem Papier.

Die Hauptverwaltung Lager in Moskau gab die Produktionsziele vor. Die Gegebenheiten der Lager fanden kaum Berücksichtigung. Da die Leiter der Lager die Nichterfüllung der Pläne verantworten mussten, trieben sie die Häftlinge rücksichtslos an. Als Anreiz wurde den Gefangenen eine vorzeitige Entlassung in Aussicht gestellt. Die Höhe der Verpflegungsrationen war an die Erfüllung der Planvorgaben gebunden. Ihre Nichterfüllung führte zu lebensbedrohlichen Kürzungen der Ernährung. Ein wichtiges Mittel, dem zu entgehen, war die Vortäuschung von Arbeitsergebnissen.

Wie wurde die Arbeitsnorm eines Lagerhäftlings dokumentiert?

Persönliches Nachweisbüchlein

Persönliches Nachweisbüchlein eines Lagerhäftlings mit Vermerken über die Ableistung der Arbeitsnorm, Igarka, 1951.

In der ersten Spalte wurde der Grad der Planerfüllung eingetragen, in der zweiten die Zahl der geleisteten Arbeitstage. In der dritten Spalte wurden die angerechneten Tage für das Quartal vermerkt, die sich aus der Höhe der Normübererfüllung ergaben. Die angerechneten Tage wurden von der ursprünglichen Haftzeit abgezogen.

Quelle: Sammlung „Memorial“, Moskau

Welche Vorstellungen von Planzielen und Arbeitsnormen vermittelte die sowjetische Propaganda?

Beispiele sowjetischer Propaganda

„Kanalsoldat! Durch heiße Arbeit schmilzt Deine Haftzeit!“, Plakat, Moskwa-Wolga-Kanal, 1935. Mit Ausnahme der Kriegszeit Anfang der 1940er Jahre konnten Gefangene durch Übererfüllung der Arbeitsnormen ihre Haftzeit verkürzen: Wenn der Gefangene sein Pensum zu 125 Prozent am Tag ableistete, erhielt er z. B. zwei Hafttage gut geschrieben, bei 150 Prozent drei Tage. | Quelle: Staatsarchiv der Russischen Föderation, Moskau
Schautafel mit den leistungsstärksten Häftlingen („Stoßarbeiter“) eines Lagers am Weißmeer-Ostsee-Kanal, 1932. | Quelle: Sammlung „Memorial“, Moskau
„Letzte Ruhestätte für die Faulpelze des 1. Lagerpunkts.“, Propagandainstallation, Weißmeer-Ostsee-Kanal, 1932. Die symbolische Grabstelle diente sowohl der Demütigung derjenigen, die ihre Arbeitsnormen nicht erfüllen konnten, als auch als unverhohlene Drohung für alle anderen. | Quelle: Sammlung „Memorial“, Moskau
 

Ernst Friedrich Wirth berichtet von der Vortäuschung von Arbeitsergebnissen

Interview mit Ernst Friedrich Wirth

„Es wurde gepfuscht bis zum Äußersten, der Brigadier war selbst interessiert daran, dass seine Norm erfüllt wurde. Ich sagte, die Stempel sollten an die 4,5 bis 6 Meter bis zur Permafrostschicht getrieben werden – und 10 Prozent der Löcher wurden von der Kommission abgenommen. Die übrigen wurden natürlich 1,50 oder 2 Meter tief gemacht, dann wurden die Stempel abgeschnitten und das Holz verkauft oder ähnliches gemacht. Ich bin 1998 in Workuta gewesen – von den Häusern, die wir gebaut haben, habe ich keines mehr gesehen.“

Interview mit Ernst Friedrich Wirth, 2005.

E. Wirth (Jg. 1932), 1952 Festnahme durch sowjetische Behörden und Untersuchungshaft in Leipzig und Potsdam, Verurteilung zum Tode, Abtransport nach Moskau, Umwandlung der Strafe in 20 Jahre Zwangsarbeit, u. a. Lager in der Region Workuta, 1956 Entlassung.

Quelle: Sammlung „Memorial“, Deutschland